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Man kann dem Sport nicht „seine Unschuld rauben“ – Anmerkungen zu Veronika Springmann

Man kann dem Sport nicht „seine Unschuld rauben“ – Anmerkungen zu Veronika Springmann

Die Berliner Sporthistorikerin Veronika Springmann äußerte sich in einem Podcast mit dem Titel „Gewalt, Erniedrigung, Selbstermächtigung: Über Sport im Lager“,  in dem sie im Rahmen der WDR 5 Radiosendung „Sport Inside“ am 17.04.2021 zu ihren Arbeiten zu den Lebensbedingungen der Insassen nationalsozialistischer Konzentrationslager befragt wurde, unter anderem auch zur Thematik des Schulsport. Diese Äußerungen können aus mehreren Gründen nicht unwidersprochen bleiben. 

In diesem Beitrag setzt Springmann sowohl terminologisch als auch inhaltlich körperliche Strafmaßnahmen und systematisches Drangsalierungen durch das NS-Regime bis hin zur völligen körperlichen Erschöpfung und sogar zum Tode der KZ-Insassen:innen mit Sport gleich. Die hier suggerierte semantische Kongruenz ist schlichtweg falsch. Bei den von Springmann beschriebenen körperlichen Demütigungen handelt es sich um ideologisch instrumentalisierte Folterinstrumente, nicht aber um „Sport“, wie es Springmann in ihren Ausführungen behauptet. Dadurch, dass Springmann Bewegungsmuster, die eben auch im Sport, aber nicht nur dort, vorkommen, mit Sport gleichsetzt, ignoriert sie den kulturellen Kontext, der aus ebendiesen Bewegungen erst Sport werden lässt. Die Instrumentalisierung von Bewegung durch inhumane Ideologien kann dem Sport nicht „seine Unschuld rauben“, wie es Springmann formuliert, da das regelgeleitete Bewegungswettkampfspiel des Sports sich jeglicher Vereinnahmung widersetzt. Instrumentalisierte Bewegung kann medizinisches, wirtschaftliches oder eben auch nationalsozialistisches Mittel zum Zweck sein, aber niemals Sport.

Hochgradig gefährlich ist in diesem Zusammenhang eine von Springmann unreflektiert gezogene Parallele zum Schulsport. Die von ihr beschriebene Demütigung durch den Sportunterricht, in welchem Kinder ihrer Meinung nach in ihrer Körperlichkeit exponiert und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, mit der industrialisierten Massenvernichtung von Menschenleben durch körperliche Ausbeutung gleichzusetzen, ist auf zweierlei Art untragbar. Zum einen werden durch diese Gleichsetzung die Schrecken der NS-Diktatur in fahrlässiger Weise verharmlost, so dass Springmann durch diesen missglückten Vergleich das hehre Anliegen ihres Forschungsansatzes konterkariert. Zum anderen aber wird hierbei ein Bild des Schulsports gezeichnet, das keinerlei Kongruenz mit dem tatsächlichen Geschehen in den Sporthallen aufweist. Wohlverstandener Schulsport ist keine ritualisierte Demütigung und Bloßstellung körperlich benachteiligter Kinder und Jugendlicher sondern die pädagogisch begleitete Auseinandersetzung mit den individuellen physischen, psychischen, sozialen und emotionalen Grenzen. Somit erfolgt also im Sportunterricht ein Lernen über die Sache Sport und nicht ein auf bloße Körperlichkeit reduziertes Unterwerfungsritual. Sport und Schulsport aufgrund von oberflächlichen Ähnlichkeiten mit physischer Folter zu assoziieren beleidigt all diejenigen, die sich in diesem Sport aktiv einbringen, und beschädigt darüber hinaus das Andenken der Opfer des Nationalsozialismus.