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Antwort auf den Kommentar

“Warum der Schulsport nicht mit Mathe zu vergleichen ist”

von Inga Hofmann aus dem Tagesspiegel vom 18.01.2021

Warum der Schulsport doch mit Mathe zu vergleichen ist 

– Anmerkungen zu Inga Hofmanns Kommentar vom 18. Januar 2021 –

Hofmanns Kommentar ist aus vielen Gründen interessant. Zum einen wird in ihren Ausführungen deutlich, dass das Fach Sport wie wohl kein anderes Fach hochgradig emotional besetzt ist und somit je nach subjektiver Motivlage immer wieder anders beurteilt und bewertet wird. Zum anderen aber – und dieser Aspekt ist für unsere Anmerkungen von weitaus größerer Relevanz – zeigt Hofmanns Kritik auch, dass die öffentliche Diskussion über den pädagogischen Sinn und Unsinn des Schulsports häufig immer noch von unreflektierten Vorurteilen und subjektiven Empfindungen und weniger von der schulsportlichen Realität dominiert wird.

Wenn man nämlich Sport, so wie Hofmann es tut, wesenhaft mit Leistungsdruck und Scham assoziiert, so wird hier ein polemisches Sportverständnis deutlich, welches Sport auf einen simplen Überbietungswettstreit motorischer Fähigkeiten reduziert. Dabei wird aber unterschlagen, dass Sport in seiner pädagogischen Reflexion im Rahmen des Sportunterrichts sich längst nicht mehr auf den bloßen Leistungssport begrenzen lässt (vgl. hierzu u.a. Nieders. Kultusministerium 2017, S. 5ff; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin 2015, S.5ff). Die im Schulsport angestrebten Kompetenzzuwächse und Sinnperspektiven umfassen die gesamte Bandbreite menschlicher Erfahrung. Bedingt durch seinen unmittelbaren bewegungsinduzierten Zugang zum zu bildenden Subjekt ist Sport das einzige Fach, welches auf eine solche Vielzahl von unterschiedlichen pädagogischen Intentionen und Sinnzuschreibungen verweisen kann (vgl. Prohl 2011; Kurz 2004). Insofern ist Hofmann also zuzustimmen, wenn sie – wenn auch mit anderer Intention – den Vergleich des Sportunterrichts mit anderen Fächern des Kanons ablehnt. Was aber Sport und Mathematikunterricht eint, ist die Tatsache, dass bestehende Begabung offen zutage treten und zudem häufig auch mit einer Beurteilung bzw. Bewertung quantifiziert und somit evident gemacht werden. Selbstverständlich kann diese Kategorisierung für einzelne Schüler*innen angst- oder schambesetzt sein. Diese Eigenheit unseres Schulsystems aber ausgerechnet im Fach Sport aussetzen zu wollen, erscheint hochgradig willkürlich und unangemessen. Eine Niederlage im Sport ist keine Demütigung, sondern ein Lernanlass, der unmittelbar aus dem genuinen Sportsinn, dem Ausloten der eigenen Grenzen, resultiert (vgl. Güldenpfennig 1996). Der angemessene Umgang mit Sieg und Niederlage ist eine der wesentlichen Sinnperspektiven des Sports und ist somit keinesfalls eine angemessene Begründung für die mangelnde pädagogische Eignung des Kulturguts Sports für die schulische Thematisierung, sondern im Gegenteil die originäre Legitimation dieses Gegenstands. Bewegte Pausen und Yogaeinheiten ergänzen einen bewegungsarmen Schultag sinnvoll, sie können entsprechend didaktisiert u.U. auch geeignete Inhalte eines gelingenden, mehrperspektivischen Sportunterrichts sein, ersetzen jedoch können sie das Fach Sport nicht. 

Gerade die aktuellen Einschränkungen aufgrund der andauernden Corona-Pandemie machen schmerzlich deutlich, welche weitreichenden pädagogischen, motorischen, psychologischen und sozialen Defizite aus einer annähernd bewegungsfreien Lebenswelt resultieren. Diese gravierenden Mängel erinnern uns nachdrücklich daran, welches unglaubliche Potenzial Sport, Bewegung und Sportunterricht für heranwachsende Menschen in sich bergen. Jene Bildungschancen aufgrund subjektiver Vorbehalte zu leugnen mag im Sinne einer freien Meinungsäußerung legitim sein, pädagogisch sinnhaft ist es nicht. Denn nur Schulsport bewegt alle.

Literatur

Güldenpfennig, S. (1996). Sport: Autonomie und Krise: Soziologie der Texte und Kontexte des Sports. Academia: St. Augustin.

Kurz, D. (2004). Von der Vielfalt sportlichen Sinns zu den pädagogischen Perspektiven im Schulsport In: Neumann P. & Balz, E. (Hrsg.). Mehrperspektivischer Sportunterricht. Orientierungen und Beispiele. (S. 57-70). Schorndorf: Hofmann. 

Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg. (2017). Kerncurriculum für die Schulformen d es Sekundarbereichs I – Schuljahrgänge 5-10: Sport. Hannover: Nieders. Kultusministerium.

Prohl, R. (2011). Zum Bildungspotenzial des Sportunterrichts. In: Krüger, M. & Neuber, N. (Hrsg.). Bildung im Sport: Beiträge zu einer zeitgemäßen Bildungsdebatte. (S. 165-178). Springer: Heidelberg.

Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin (2015). Rahmenlehrplan Sport. Zugriff am 24.01.2021 unter https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/Rahmenlehrplanprojekt/amtliche_Fassung/Teil_C_Sport_2015_11_16_web.pdf